Sonntag, 2. Juni 2013

Denn sie wissen nicht, was es kostet: Aber Deutschland soll jeden Preis für die Euro-Rettung bezahlen. Zum SZ-Gemeinschaftsartikel "Ökonomen attackieren 'Alternative für Deutschland' "

Die AfD macht die etablierten Eurofetischisten offenbar nervös. Nun schicken sie ihre wissenschaftlichen Hiwis an die Front, um die um sich greifende Begeisterung der Wähler für die Alternative für Deutschland zu bekämpfen.

Das Medium der Wahl ist dafür, nicht überraschend, die seit eh und je euhaftomane Süddeutsche Zeitung: Ökonomen attackieren "Alternative für Deutschland" lesen wir auf der Webseite der  Süddeutschen am 01.06.13
Fünf ist Trümpf, wird man sich gedacht haben, und so haben sich hier 5 Autoren gegen die AfD zusammengerottet:


  • Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Berlin;
  • Clemens Fuest, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, Mannheim; Hans Peter Grüner, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim;
  • Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Köln und schließlich noch
  • Jörg Rocholl, Präsident der European School of Management and Technology, Berlin.
Die Einleitung fasst quasi als "abstract" den Inhalt des Artikels so zusammen:
In der Debatte um eine mögliche Auflösung der Euro-Zone wehren sich fünf namhafte deutsche Ökonomen, dass ihre Zunft von der neuen Partei "Alternative für Deutschland" und deren Chef vereinnahmt wird. Sie sind überzeugt: Die Währungsunion kann nicht "in einem geordneten, rationalen Verhandlungsprozess" aufgelöst werden.”
Die Beschreibung der Probleme in der €-Zone erscheint im Wesentlichen zutreffend:
“Die Europäische Währungsunion ist auch nach drei Jahren intensiven Krisenmanagements weiter in einer schwierigen Situation: ….. Die gesamtwirtschaftliche Lage in den Krisenländern ist insbesondere infolge der hohen Arbeitslosigkeit kritisch, politisch ist die Situation labil. Mit der wirtschaftlichen Schwäche Frankreichs sind weitere Schwierigkeiten angelegt, wenn die Politik nicht zügig und angemessen reagiert.”
Die Artikelverfasser erkennen immerhin an, dass bei dieser Sachlage die Debatte über einen Ausstieg legitim sei; sie lehnen ihn jedoch ab:
Wir halten das [Ausstieg einiger Länder oder Rückkehr zu einem System nationaler Währungen] für den falschen Weg und plädieren dafür, die Währungsunion in ihrer jetzigen Zusammensetzung zu bewahren und ihre von Beginn an bestehenden institutionellen Mängel sowie die im Laufe der Krise entstandenen Probleme durch entschlossene Reformen zu lösen.
Ihre Lösungsvorschläge sind freilich derart allgemein gehalten, dass sie für die praktische Politik völlig unbrauchbar wären:
  • “Erstens brauchen die Peripheriestaaten Wachstumsperspektiven und mehr Wettbewerbsfähigkeit.”
Hier z. B. bleibt offen, wer auf welche Weise und ggf. mit wessen Geld den Peripheriestaaten Wachstumsperspektiven verschafft? Das ist nicht einmal Deutschland in der ehemaligen DDR in ausreichendem Maße gelungen; der ganze Osten ist und bleibt zweifellos auf lange Zeit auf Transferleistungen aus dem Westen angewiesen.
Ein besonders abschreckendes Beispiel ist (bzw. sollte sein) Italien. Dort ist es seit der Vereinigung vor ca. 150 Jahren nicht gelungen, den "Mezzogiorno" (Süditalien) auf den Stand des Nordens zu heben. Selbst wenn man den relevanten Zeitraum erst mit der Gründung der "Cassa per il Mezzogiorno" (Wikipedia) ansetzen will (1950), sind es immer noch 60 Jahre, in denen es der italienische Staat trotz massiver Förderung nicht geschafft hat, die wirtschaftliche Kluft zwischen dem hochentwickelten Norden und dem unterentwickelten Süden wesentlich zu verringern.

Infrastrukturinvestitionen fördert die EU in einigen der Krisenländer schon seit längerem; der echte Bedarf dürfte größtenteils gedeckt sein. Und wie teilweise schon bisher würde auch und gerade eine noch massivere EU-Förderung zu einer politisierten und ineffizienten Mittelverwendung geradezu einladen. Auch Rufe nach einem “Marshallplan” wuchern mit einem positiv besetzten Begriff, ohne dass wesentliche Erfolgsvoraussetzungen des damaligen Plans in den Krisenländern gegeben wären. [Vgl. dazu auch meine Blotts "FAZ-Realist vs. SZ-Schreibtischretterin: Kommentar "Verschwendung in der Schuldenkrise" von Rainer Hank zu "Wie Griechenland noch gerettet werden kann" (Cerstin Gammelin, Süddeutsche Zeitung)"    und    "Staatsschulden Griechenland (europäische Schuldenkrise): Financial Times Deutschland propagiert Besitzstandswahrung für Kreditbetrüger!".]
  • Zweitens sind dort viele öffentliche und private Haushalte, Unternehmen und Banken überschuldet. Es gilt, diese Verschuldung auf ein tragfähiges Maß zu reduzieren.
Die Autoren fordern einen teilweisen Schuldenerlass ohne auch nur andeutungsweise zu erklären, um welche Summen es hier geht und wer einen solchen Teilerlass bezahlen soll. Nach Lage der Dinge dürfte es sich um Beträge im Bereich von mehreren Billionen € handeln. Finanziert werden müsste das über die Europäische Zentralbank (durch Gelddrucken, also mit inflationärer Wirkung) und/oder von den Steuerzahlern der soliden Länder, also hauptsächlich den Deutschen. Ergänzend bzw. alternativ wären “Haircuts” zu Lasten der Kreditgeber, also der Banken, Versicherungen usw., vorstellbar.
  • Drittens müssen die konstitutionellen und regulatorischen Voraussetzungen geschaffen werden, um Staatsfinanzen und Finanzsystem nachhaltig zu stabilisieren.
Mit “konstitutionellen Voraussetzungen” sind wohl Schuldenbremsen in den Verfassungen vorstellen. Von denen wird sich die Politik beim Schuldenmachen jedoch nicht bremsen lassen. Schon im Juni 2012 las man in der WELT in einem Auszug aus dem Buch "Schulden ohne Sühne? Was Europas Krise uns Bürger kostet" von Prof. Kai Konrad (Direktor am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen in München) und Holger Zschäpitz (leitender WELT-Redakteur im Ressort Wirtschaft) was wir brandaktuell mit der äußerst nachsichtigen Behandlung der “Schuldensünder” durch die EU-Kommission erneut erleben: Die Erfahrungen in den vergangenen zehn Jahren mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt sind nicht ermutigend. Gegen die kreative Haushaltsbilanzpolitik einzelner Staaten wurde nicht gerade energisch eingeschritten. Und da, wo es offensichtliche Verletzungen der Regeln des Stabilitätspakts gab, kam es eher zu einer Neuinterpretation der Regeln des Pakts als zu einer konsequenten Anwendung.”

Fazit: Die Autoren immunisieren sich dadurch gegen mögliche Kritik, dass sie der Öffentlichkeit als Sanierungsideen lediglich Scheinlösungen in Gestalt verbaler Placebo-Pillen auftischen. Indem sie es vermeiden, belastbare Rettungsszenarien anzubieten, entziehen sie sich jeglicher sachlichen Diskussion über die Umsetzbarkeit ihrer Forderung nach Kompletterhaltung der Eurozone.
 Einen Austritt einzelner hoch verschuldeter Staaten aus der Eurozone lehnen sie u. a. deshalb ab, weil es
durch die Abwertung zum Default auf in Euro lautenden Anleihen des Staates und privater Akteure kommen
 werde, also zu Staatspleiten.
Bei der Formulierung dieses Absatzes haben die Autoren offenbar vergessen, dass sie wenige Zeilen früher selber (implizit) die Insolvenz dieser Staaten konstatiert und einen Schuldenschnitt gefordert hatten:
Zweitens sind dort viele öffentliche ... Haushalte ….. Es gilt, diese Verschuldung auf ein tragfähiges Maß zu reduzieren.
 Diese Meinung mag man teilen oder nicht; auf jeden Fall können Schuldenschnitt und eventuelle Hilfeleistungen ebensogut außerhalb der Eurozone erfolgen.

Auch im Folgeabsatz wird die gerade erhobene Forderung nach einem Schuldenschnitt ausgeblendet, indem suggeriert wird, dass nur bei einem Austritt der Krisenländer finanzielle Lasten auf Deutschland zukämen:
Auch Deutschland würde ..... einen hohen Preis durch ….. hohe direkte und indirekte finanzielle Kosten zahlen. Die Peripheriestaaten sind in erheblichem Umfang im Ausland verschuldet. Dabei geht es zum einen um die Schulden der privaten Haushalte, Unternehmen und Banken wie auch der öffentlichen Haushalte.”
Allen diesen Schuldnern wollten die Autoren zwecks Rettung der Eurozone soeben noch einen Teilerlass gewähren. Der aber würde Deutschland in gleicher Weise “hohe direkte …..finanzielle Kosten” aufbürden!
Man sieht: Um der Öffentlichkeit Angst einzujagen ist den Wirtschaftsprofessoren sogar eine in sich widersprüchliche Argumentation nicht zu schade. Die Verfasser argumentieren damit nicht auf einer wirtschaftswissenschaftlichen Ebene, sondern steigen auf das Niveau politischer Propaganda herab.
Wenn der Austritt dann kommt, müsste die EZB diese Forderungen [Target-Salden] größtenteils abschreiben, was auch zu Verlusten der Bundesbank führen würde.
Diese Behauptung lässt vermuten, dass die Autoren das Wesen der Target-Forderungen überhaupt nicht verstanden haben. Es handelt sich um Ansprüche nicht gegen Regierungen oder Privatpersonen, sondern gegen Volkswirtschaften. Sicherlich wäre die Behandlung dieser Ansprüche bei einem Austritt Verhandlungssache.
Es gibt aber keinen vernünftigen Grund, nicht die (momentan indirekten, über die EZB laufenden) Forderungen etwa der Bundesbank gegen die griechische Zentralbank in Drachmen umzuwandeln. Die Target-Salden haben faktisch jetzt schon den gleichen Charakter wie unsere Devisenüberschüsse. (Vgl. dazu auch das Papier “Zahlungsbilanzkrisen im Eurosystem: Griechenland in der Rolle des Reservewährungslandes?” von Prof. Wilhelm Kohler (ifo Schnelldienst 16/2011).
(Auch dabei treten zwar hohe Verluste auf, weil natürlich eine starke Abwertung dieser Währungen zu erwarten ist. Dem steht bei einem Kompletterhalt der Eurozone der schleichende Verlust durch die real negative Verzinsung der Target-Guthaben gegenüber, die auf längere Sicht zum gleichen Ergebnis führt - nur halt nicht sofort gebucht werden muss. Man kann sich also länger in die Tasche lügen.)
In jedem Fall ist die Vorstellung illusorisch, dass die Auflösung der Währungsunion in einem geordneten, rationalen Verhandlungsprozess erfolgen könnte.
Wer diese Position einnimmt sagt im Grunde, dass Deutschland für den Fortbestand der Währungsunion bezahlen muss. Dass die Autoren genau das wollen, zeigt auch die folgende rein politische Argumentation:
Es bestünde die Gefahr, dass Deutschland für das Scheitern der Währungsunion und ihre Folgen verantwortlich gemacht und in politische und wirtschaftliche Isolation geraten würde.
Wer ein Scheitern der Währungsunion aus politischen Gründen unter allen Umständen vermeiden will, macht sich von vornherein erpressbar. Genau in dieser Lage befindet sich Deutschland aufgrund der Europhilie (oder besser: der Euromanie!) von Regierung und Blockparteien schon jetzt. Und nur aus diesem Grunde können die Krisenländer uns und der Europäischen Zentralbank immer neue Gelder und Zugeständnisse abpressen.
Von zentraler Bedeutung ist es, in den Krisenstaaten Wettbewerbsfähigkeit zu entwickeln, um neues Wachstum zu ermöglichen.”
In vielen Krisenländern geht es zunächst einmal nicht um “neues Wachstum”, sondern darum, dass ein im Vergleich zur wirtschaftlichen Leistung überhöhter Lebensstandard auf Pump finanziert wurde. Realwirtschaftlich heißt das, dass diese Länder (Griechenland ist ein besonders krasser Fall, aber Frankreich ist in derselben Situation) entweder ihren Konsum senken müssten, oder aber ihre Güterpropduktion steigern (und mehr exportieren, oder Exporte durch eigene Produkte ersetzen). Der Inlandsverbrauch wurde in Griechenland drastisch reduziert. Kein anderes Land möchte diesem “Vorbild” nacheifern. Andererseits ist aber kaum ersichtlich, mit welchen Produkten die Krisenländer am Markt im großen Stil erfolgreich sein könnten. Die Binnennachfrage nach Automobilen geht in Europa zurück; Fiat in Italien sowie Peugeot und Renault in Frankreich sind schon jetzt in Schwierigkeiten. Ein (neuer) Bauboom würde zwar die Wirtschaft ankurbeln, wäre aber kein Mittel gegen Leistungsbilanzdefizite (und würde diese tendenziell eher erhöhen).
Da Löhne und andere Preise nicht von Regierungen, sondern von Tarifpartnern und an Märkten mit mehr oder weniger Flexibilität festgelegt werden, lässt sich eine Anpassung nicht verordnen und braucht Zeit.”
In den Krisenländern ist nicht nur eine (interne oder externe) Abwertung unumgänglich. Vor allem müssten sie aber auch ihr Angebot an marktfähigen Produkten und Dienstleistungen erheblich steigern.
Die Überwindung der hohen Verschuldung bei privaten Haushalten und Unternehmen und die Sanierung der Banken werden ohne Insolvenzen und Restrukturierungen kaum erreichbar sein. Das wird an den Kapitalmärkten für Unruhe sorgen, und Gläubiger, auch in Deutschland, werden Verluste erleiden.”
Hier fällt den Autoren wieder ein, was sie vorher beim Austrittsszenario verschwiegen haben: Dass Deutschland so oder so enorme Verluste erleiden wird.
 Die Staatsfinanzen können aber dauerhaft nur gesunden, wenn der Kurs der fiskalischen Konsolidierung nicht aufgeweicht wird und Regierungen dauerhaft vor harten Budgetrestriktionen (wie mit verfassungsrechtlichen Schuldenbremsen) stehen. ….. dafür zu sorgen, dass die Fiskaldisziplin künftig nicht durch Solidarhaftung für Staatsschulden untergraben wird.”
Unsere Bourbonenkönige der Volkswirtschaftslehre haben offenkundig alles vergessen (den skrupellosen Bruch des vertraglich verankerten Bailoutverbots durch die Politik) und nichts dazugelernt. In einem Zustand absoluter Naivität glauben diese weltfremden Wissenschaftler noch immer, dass vertragliche Papiertiger politökonomische Entwicklungen aufhalten können.
Damit diese Anpassungen zu einer dauerhaften Stabilisierung der Eurozone führen, ist es wichtig, das Projekt der Bankenunion ….. Schritt für Schritt voranzutreiben.
Was nützt es, eine Solidarhaftung bei den Staatsschulden auszuschließen, gleichzeitig aber via Bankschuldenunion im Ergebnis Deutschland doch für die privaten wie öffentlichen Schulden anderer Länder bezahlen zu lassen? Die Herren täuschen ihr Leserpublikum, indem sie verschweigen, dass sie genau auf eine solche Bankschuldenunion hinaus wollen. (Denn nur eine solche könnte die Eurozone - zu Lasten Deutschlands - stabilisieren.)
Und sie verschweigen die Kosten, die mit einem solchen Transfermechanismus auf unser Land zukommen würden.
Einige wichtige Beschlüsse der Krisenpolitik ermutigen zu dieser Einschätzung [dass die Eurozonenkrise überwunden werden kann], deren Bestätigung sich in der Umsetzung allerdings erweisen muss.
Heißt: Bisher gibt es überhaupt nur Beschlüsse, und auch nur einige. Umgesetzt ist, auf europäischer Ebene, noch nichts. Und wer sich aktuell das Verhalten der italienischen und französischen Regierung anschaut, dann müsste schon mit dem Klammerbeutel gepudert sein, um in diesen Ländern auch nur den Hauch eines Bemühens um schmerzhafte Einschnitte zum Zwecke der Krisenbekämpfung zu erkennen.
Nur noch erschrecken kann man als deutscher Bürger, Wähler und Steuerzahler, wenn man den Schlussabsatz liest. (Für diesen könnte man den Verfassern ihre Aufrichtigkeit zugute halten. Aber ebenso gut kann man die Passage als Kautelismus verstehen, mit dem sie sich für den Fall des Scheiterns gegen den Vorwurf einer Falschprognose absichern wollen. Also nach der Methode des Orakels von Delphi!)
Freilich: Es gibt keine Garantie für einen guten Ausgang, doch das kann kein Grund sein, einer Auflösung der Eurozone zu wählen. Denn die ökonomischen und politischen Risiken sowie .”
Mit anderen Worten: Die Eurettungspropagandisten wollen nicht ausschließen, dass es trotz allem übel enden kann mit der Eurozone.
Aber woher wissen die Autoren, dass die Auflösung der Eurozone
“die dramatisch schlechtere Alternative”
wäre, und dass in diesem Falle
 “die zu erwartenden Kosten nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa sowohl kurzfristig als auch langfristig…..deutlich größer
wären? Kostenvergleiche haben sie keine angestellt. Auch hier geht es ihnen also ausschließlich darum, ihrem Publikum Angst einzujagen.
Koste es am Ende, was es wolle.

Deutschland braucht keine Langemarck-Akademiker, die mit wehenden Europawimpeln ein ganzes Land im Trommelfeuer einer missraten Währungsunion zuschanden werden lassen: Deutschland braucht nüchtern kalkulierende Politiker und Ökonomen, die mit möglichst geringen Verlusten den schnellstmöglichen Rückzug aus dem sinnlosen Kampf um die Kompletterhaltung der Eurozone organisieren!


Wie oben gezeigt, ist der Text nicht im Entferntesten wissenschaftstypisch. Die Argumentationsstruktur entspricht vielmehr der Strategie von Lobbyisten. Um evtl. mehr darüber zu erfahren, welcher Interessenhintergrund hinter der vorliegenden Debattenintervention zu vermuten ist, schauen wir uns einige der Autoren genauer an.
Marcel Fratzscher ist seit dem 01.02.2013 Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. Dass sein DIW jetzt (wieder) an der Erstellung der Konjunkturgutachten für die Bundesregierung beteiligt ist, soll zwar lediglich auf das günstige Angebot zurückzuführen sein. Man muss ihm insoweit also keine Liebedienerei unterstellen.
Wie man zu seinem ZEIT-Artikel Euro-Krise: Es liegt nicht am Euro! vom 09.04.2013 erfährt, war er vor seinem Wechsel zum DIW “Leiter der Abteilung International Policy Analysis der Europäischen Zentralbank”. Von daher kann es also nicht überraschen, dass er ein glühender Euro-Befürworter ist, und einer Kompletterhaltung der Eurozone um jeden Preis das Wort redet. (Weitere biographische Angaben in diesem Bericht der Berliner Zeitung vom 19.07.2012.)
Schon in seinem ZEIT-Artikel argumentiert er abenteuerlich:
Einige Mitglieder haben diese Vorteile [der Euro-Einführung] aber nicht genutzt, um ihre Wirtschaft zu stärken und den Staatshaushalt zu konsolidieren. Stattdessen haben sie sich durch günstige Finanzierungsbedingungen dazu verleiten lassen, ihre private und öffentliche Verschuldung auszuweiten. Das hat einige Volkswirtschaften in eine Schieflage gebracht. Wieso soll der Euro für dieses Verhalten verantwortlich gewesen sein? Die gemeinsame Währung mag das Fehlverhalten erleichtert haben. Verantwortlich aber war die Politik.” 

Sicherlich war die Politik der Akteur. Aber sie hat die durch den Euro geschaffenen Bedingungen missbraucht; ohne Euro wäre es dazu nicht gekommen. Und warum sollten sich die Politiker der Krisenländer von jetzt an ökonomisch rational verhalten? Für sie ist es doch machtstrategisch weitaus günstiger, sich die Aufrechterhaltung des Status quo von anderen Ländern finanzieren zu lassen!
Erg. 03.06.2013: In dem Interview "DIW-Präsident Fratzscher 'Trügerische Hoffnung' " mit der Berliner Zeitung wiederholt Fratzscher heute im Wesentlichen die Argumente aus dem Gemeinschaftsartikel:
"Die Euro-Zone insgesamt steckt tief in der Rezession. Die Arbeitslosigkeit ist hoch und die sozialen Kosten in den Krisenländern sind enorm. Trotzdem machen wir in unserem gemeinsamen Plädoyer deutlich, dass die Lage schwierig, aber nicht ausweglos ist. Und wir warnen davor, am Fortbestand der Euro-Zone zu rütteln."
Auch hier beschränkt er sich darauf, das Austrittsszenario in den düstersten Farben zu malen. Über die Kosten bei einem Kompletterhalt der Eurozone schweigt er sich aus. Auch einen Ausweg aus der schwierigen, aber angeblich nicht ausweglosen Lage zeigt er nicht auf. Wir sehen hier es also nicht als eine stereotype Wiederholung des für die Eurettungsfetischisten typischen Argumentationsmusters.
Clemens Fuest ist Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim und war früher Professor in Oxford. Vor zwei Jahren wusste er noch, was er inzwischen vergessen hat: Das sich die Politik nicht um Regelungen auf dem Papier schert, wenn es massiv um die eigenen Interessen geht. In dem FAZ-Interview Mit Eurobonds würde der Rubikon überschritten vom 16.08.2011 hatte er zutreffend festgestellt:
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt reicht dafür [zur Erzwingung von Haushaltsdisziplin] nicht aus, denn seine Wirkung ist ziemlich schwach, da jedes Land weiß, dass es Sanktionen im Krisenfall nicht zahlen und am Ende die Kosten der eigenen Krise auf die anderen Länder abwälzen kann.”
Und plötzlich will er uns weismachen, dass man mit konstitutionellen und regulatorischen” Maßnahmen “Staatsfinanzen und Finanzsystem nachhaltig … stabilisieren” könne? Das ist nicht sehr überzeugend!
Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln. Präsident dieses als eingetragener Verein geführten und allgemein als “wirtschaftsnah” betrachteten Instituts (Wikipedia) ist Christoph M. Schmidt (übrigens auch Chef der “Wirtschaftsweisen”, die die Bundesregierung beraten). Der hatte in einem am 25.05.2013 veröffentlichten Interview behauptet "Der Anti-Euro-Partei fehlt Sachverstand". Es ist klar, dass insbesondere die Exportwirtschaft ein massives Interesse am Fortbestand des Euro hat. Insofern kommen die Interventionen von Hüther und Schmidt nicht überraschend. Dass die “Rettung” der Eurozone nur um den Preis gewaltiger Belastungen der deutschen Steuerzahler zu haben wäre, kümmert die Industrie natürlich wenig.

Bei Jörg Rocholl, Präsident der European School of Management and Technology in Berlin, ist eine positionsbedingte Amnesie zu konstatieren. Während er jetzt in dem SZ-Gemeinschaftsartikel dafür plädiert “die Währungsunion in ihrer jetzigen Zusammensetzung zu bewahren”, hatte er in dem Zeit-Interview Griechenland geht bankrottvom 22.08.11 erklärt:
ZEIT: Kann die Regierung in Athen oder können wir die Pleite noch irgendwie verhindern?
Rocholl: Im Gespräch ist vieles, optimal ist nichts. Wir könnten die niedrigen Zinsen von 3,5 Prozent, die Athen für die jüngsten Hilfspakete bezahlt, auf alle alten Anleihen ausweiten. Das würde aber teuer. Schon jetzt haben sich die Kreditausfallversicherungen für Deutschland verdoppelt, weil wir seit dem EU-Gipfel im Juli mehr für Schulden anderer Länder mehr haften.
ZEIT: Der deutsche Wirtschaftsminister will das Wachstum durch einen Marshallplan anheizen.
Rocholl: Ob das schnell genug wirkt, ist die Frage. Bisher rechnen selbst Optimisten, dass das Schrumpfen erst 2012 wieder aufhört.”.
Nun, die griechische Wirtschaft ist seitdem munter weiter geschrumpft. Daher sollte doch eigentlich heute mehr denn je gelten, was er damals ganz sicher wusste (meine Hervorhebung):
“ZEIT: Würde Griechenland dann am besten gleich aus dem Euro ausscheiden?
Rocholl: Ja. Nur dann wird es wieder wettbewerbsfähig.”
Aber ok: Damals war er lediglich Interimspräsident an seinem Institut. Mittlerweile ist er Präsident geworden. Da darf man annehmen, dass er die Interessen seines Instituts an staatlicher und privater Förderung berücksichtigt, und Politik und Exportwirtschaft nicht vergrätzen mag.



ceterum censeo
Deutschland in Europa: Weder Zuchtmeister, noch Zahlmeister!

Eine vorzügliche (bis Februar 2013 aktualisierte) Übersicht über die Internet-Debatte zur Eurozonenkrise bietet der Blog von Robert M. Wuner. Für diesen „Service“ herzlichen Dank!
Textstand vom 05.06.2013

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