Dienstag, 17. März 2015

AfD als Linsengerichtspartei? Zu den Reaktionen von Dr. Frauke Petry und Dr. Alexander Gauland auf das Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts


Meine Meinungsbildung über das Kopftuchurteil hat etwas länger gedauert, weil ich ich zunächst das Urteil selber lesen wollte.
Das habe ich mir nun doch nicht angetan, denn das Ding hat 39 Seiten (
http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2015/01/rs20150127_1bvr047110.html). (Habe es mir jedoch ausgedruckt; vielleicht später ...).
Was ich aber immerhin gelesen habe ist die gut 5-seitige Pressemeldung des Bundesverfassungsgerichts (
http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2015/bvg15-014.html), bei der man sicherlich davon ausgehen darf, dass sie die wesentlichen Entscheidungsgründe enthält.


Rechtlich geht es um den Widerstreit zwischen
  • Glaubensfreiheit der (zwei) Klägerinnen einerseits und andererseits
  • Konfkliktfreiheit in der Schule und Neutralitätsgebot für den Staat.
Bei dieser Abwägung hat das BVerfG aus meiner Sicht versagt, weil es einer letztlich doch grade im Verhältnis zu Kernelementen unserer Verfassung (Menschenrechte: Geschlechtergleichheit!) extrem problematischen "religiösen" Glaubensäußerung den Vorrang vor legitimen Anliegen unserer im Kern säkularen Gesellschaftsordnung einräumt.
Ich empfehle allen die Lektüre der PM; insbesondere aber der abweichenden Meinung des Richters Schluckebier und der Richterin Hermanns (am Schluss), die ich nur Wort für Wort unterschreiben kann.
Davon nachfolgend Auszüge (meine Hervorhebungen):


"Die vom Senat geforderte einschränkende Auslegung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Sie misst der Bedeutung des staatlichen Erziehungsauftrags, der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, sowie dem Schutz des elterlichen Erziehungsrechts und der negativen Glaubensfreiheit der Schüler im Verhältnis zur Glaubensfreiheit der Pädagogen zu geringes Gewicht bei. Der Senat beschneidet in nicht akzeptabler Weise den Spielraum des Landesschulgesetzgebers bei der Ausgestaltung des multipolaren Grundrechtsverhältnisses, das gerade die bekenntnisoffene öffentliche Schule besonders kennzeichnet.
Der Senat entfernt sich von den Maßgaben und Hinweisen der sogenannten Kopftuch-Entscheidung des Zweiten Senats vom 24. September 2003 (BVerfGE 108, 282), die dem Landesschulgesetzgeber gerade für den Bereich der öffentlichen Schule die Aufgabe zuschreibt, gesetzlich zu regeln, inwieweit er religiöse Bezüge in der Schule zulässt oder wegen eines strikteren Neutralitätsverständnisses aus der Schule heraushält. .....
Die Bewertung des Senats, das Tragen religiös konnotierter Bekleidung durch Pädagoginnen und Pädagogen beeinträchtige die negative Glaubensfreiheit von Schülerinnen und Schülern sowie das Elterngrundrecht nicht, halten wir für nicht realitätsgerecht. Sie vernachlässigt, dass das Schüler-Pädagogen-Verhältnis ein spezifisches Abhängigkeitsverhältnis ist, dem Schüler und Eltern unausweichlich und nicht nur flüchtig ausgesetzt sind. Aufgabe der Lehrpersonen ist es unter anderem, die Schüler zu erziehen und zu beurteilen (§ 57 Abs. 1 SchulG NW). Dies bedingt ein weitaus stärkeres Ausgesetztsein gegenüber religiösen Bekundungen als es bei Begegnungen im gesellschaftlichen Alltag der Fall ist. Den Pädagogen kommt in der Schule im Umgang mit den Schülern zudem eine Vorbildfunktion zu. Deren Verhalten, auch die Befolgung bestimmter religiöser Bekleidungsregeln, trifft auf Personen, die aufgrund ihrer Jugend in ihren Anschauungen noch nicht gefestigt sind. Eine wirklich offene Diskussion über die Befolgung religiöser Bekleidungsregeln wird, wenn Lehrpersonen persönlich betroffen sind, in dem spezifischen Abhängigkeitsverhältnis der Schule allenfalls begrenzt möglich sein. .....
Die Pädagogen genießen zwar ihre individuelle Glaubensfreiheit. Zugleich sind sie aber Amtsträger und damit der fördernden Neutralität des Staates auch in religiöser Hinsicht verpflichtet. Denn der Staat kann nicht als anonymes Wesen, sondern nur durch seine Amtsträger und seine Pädagogen handeln. Die Verpflichtung des Staates auf die Neutralität kann deshalb keine andere sein als die einer Verpflichtung seiner Amtsträger auf Neutralität. .....
Eine Bewertung, die allein darauf abstellt, dass der Staat eine ihm unmittelbar nicht zuzurechnende individuelle Grundrechtsausübung seiner Pädagogen nur dulde und die Schüler lediglich eine bestimmte Bekleidung der Pädagogen anzuschauen hätten, die erkennbar auf deren individuelle Entscheidung zurück gehe, greift zu kurz. Eine solche vereinfachende Differenzierung zwischen dem Staat zurechenbaren Symbolen und individueller religiös konnotierter Bekleidung von Pädagogen blendet die Wirkung aus, die auch die individuelle Grundrechtsausübung einer Lehrperson auf Schüler haben kann. Zusammengefasst ist nach unserem Dafürhalten die Untersagung religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagogen schon bei einer abstrakten Gefahr für den Schulfrieden und die staatliche Neutralität verfassungsrechtlich unbedenklich."

Dem gegenüber sind die Stellungnahmen, die Alexander Gauland (http://www.presseportal.de/pm/110332/2971874/gauland-ein-gutes-urteil-fuer-deutschland) und Frauke Petry​ (https://www.facebook.com/?ref=tn_tnmn#!/Dr.Frauke.Petry/photos/a.782724038446912.1073741828.782456275140355/896079900444658/?type=1&permPage=1) für mich ALS POSITIONEN DER AFD ABSOLUT INAKZEPTABEL.
[Erg. 26.3.2015: Frauke Petry hat ihre Stellungnahme jetzt revididert: Vgl. unten meinen Nachtrag von heute.]

Im Grunde begrüßen beide das Urteil nur deshalb, weil sie es auf eine Stufe mit der Erlaubnis stellen, im Klassenzimmer Kruzifixe aufzuhängen.
Man tut den beiden sicher nicht Unrecht, wenn man die Argumentation so zusammenfasst:
Wenn im Klassenzimmer christliche Symbole hängen dürfen, muss es auch den Muslimen erlaubt sein, ihre Glaubenssymbole auch dort rauszuhängen.

Dagegen wäre vielleicht nichts einzuwenden, wenn es sich bei dem Kopftuch lediglich um ein religiöses Symbol handeln würde.
Das Problem mit diesem Ding ist jedoch, dass es ganz allgemein ein Symbol der Nicht-Gleichwertigkeit von Mann und Frau, und der Unterwerfung der Frau unter den Mann ist.
Die Frage, ob das auch der jeweiligen Trägerin bewusst oder von ihr gewollt ist, muss demgegenüber in den Hintergrund treten. Schließlich darf sich auch niemand mit einem Hakenkreuz "schmücken" und (selbst wenn es subjektiv ernst gemeint wäre) darauf berufen, dass die Swastika ein altes indisches Symbol ist.


Das Urteil (lt. PM) reduziert diese Problematik wieder und wieder auf den "Schulfrieden" und die "staatliche Neutralität". Im Urteil selbst heißt es in RdNr. 129 dazu:
"Wenn vereinzelt in der Literatur geltend gemacht wird, im Tragen eines islamischen Kopftuchs sei vom objektiven Betrachterhorizont her ein Zeichen für die Befürwortung einer umfassenden auch rechtlichen Ungleichbehandlung von Mann und Frau zu sehen und deshalb stelle es auch die Eignung der Trägerin für pädagogische Berufe infrage (vgl. etwa Bertrams, DVBl 2003, S. 1225 <1232 ff.>; Hufen, NVwZ 2004, S. 575 <576>; Kokott, Der Staat 2005, S. 343 <355 ff.>; Rademacher, Das Kreuz mit dem Kopftuch, 2005, S. 24), so verbietet sich eine derart pauschale Schlussfolgerung (siehe oben B. II. 5.)."


Das bringt uns nicht weiter; vielmehr müssen wir auf die Verweisstelle (konkret geht es dort offenbar um die RdNr. 118) zurückgehen. Dort steht:
"Die darin [im nordrhein-westfälischen Schulgesetz] geforderte Eignung des äußeren Verhaltens, bei Schülerinnen und Schülern sowie Eltern den Eindruck hervorzurufen, dass eine Pädagogin oder ein Pädagoge gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Art. 3 GG, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt, kann allein im Blick auf das äußere Erscheinungsbild nur bei Vorliegen hinreichend konkreter Anhaltspunkte aus der Sicht eines objektiven Betrachters bejaht werden. Allerdings ist mit Rücksicht auf die grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die Annahme verfehlt, schon das Tragen eines islamischen Kopftuchs oder einer anderen, auf eine Glaubenszugehörigkeit hindeutenden Kopfbedeckung sei schon für sich genommen ein Verhalten, das gemäß § 57 Abs. 4 Satz 2 SchulG NW bei den Schülern oder den Eltern ohne Weiteres den Eindruck hervorrufen könne, dass die Person, die es trägt, gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Art. 3 GG, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftrete. Diese pauschale Schlussfolgerung verbietet sich. Wenn das Tragen des Kopftuchs etwa als Ausdruck einer individuellen Kleidungsentscheidung, von Tradition oder Identität (vgl. BVerfGE 108, 282 <303 ff.>) erscheint, oder die Trägerin als Muslimin ausweist, die die Regeln ihres Glaubens, insbesondere das von ihr als verpflichtend verstandene Bedeckungsgebot, strikt beachtet, lässt sich das ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht als Distanzierung von den in § 57 Abs. 4 Satz 2 SchulG NW genannten verfassungsrechtlichen Grundsätzen interpretieren. Auch den Glaubensrichtungen des Islam, die das Tragen des Kopftuchs zur Erfüllung des Bedeckungsgebots verlangen, aber auch genügen lassen, kann nicht unterstellt werden, dass sie von den Gläubigen ein Auftreten gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Art. 3 GG, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung fordern, erwarten oder auch nur erhoffen."


Das BVerfG macht aus meiner Sicht hier den Fehler, allein auf das individuelle Wollen, hilfsweise auch das vermutete (Nicht-)Wollen der dahinter stehenden (islamischen) Religionsgemeinschaft, abzustellen.
Darauf kann es aber aus meiner Sicht nicht ankommen. Auch wenn es selbstverständlich richtig ist, dass die jeweilige Lehrerin weder eine Unterdrückung der Frau befürworten, noch missionarische Absichten haben muss, ändert das nichts am weit verbreiteten Symbolcharakter des Kopftuches. Auf DIESEN SYMBOLCHARAKTER kommt es für mich aber entscheidend an.

Ich brauche kein Kruzifix im Klassenzimmer, und ich glaube nicht, dass das wirklich in vielen Klassen (außer allenfalls hier in Bayern) hängt.
Erst Recht aber will ich meine (hypothetischen) Kinder nicht einer Dame mit Kopftuch zur Erziehung ausliefern. Als säkular orientertem Staatsbürger ist das für mich unzumutbar.


Und als AfD-Parteimitglied kann ich es nicht akzeptieren, wenn Alexander Gauland und Dr. Frauke Petry​ das schwer erkämpfte Erstgeburtsrecht unserer säkularen Gesellschaft um das Linsengericht eines Kruzifixes willen verhökern.
Das verheißt für die Zukunft nichts Gutes! Es könnte eines Tages durchaus zu einer Allianz von christlichen und muslimischen Fundis gegen die säkulare Gesellschaft kommen (auch wenn von Alexander Gauland und Frauke Petry sicherlich nicht beabsichtigt ist).


Bemerkenswert erscheint mir in diesem Zusammenhang, dass sich Beatrix von Storch​ anscheinend gar nicht, und jedenfalls (m. W.) nicht zustimmend, zu dem Kopftuchurteil geäußert hat. BvS ist bekanntlich sehr christlich orientiert (etwa kontra Abtreibungen).
Im Gegenteil finden sich in ihrer "Freien Welt" gleich zwei Artikel gegen das Kopftuchurteil:
- "Mehr als ein Kopftuch: Das fatale Karlsruher Missverständnis" von Ramin Peymani - http://www.freiewelt.net/mehr-als-ein-kopftuch-das-fatale-karlsruher-missverstaendnis-10056395/. Auszug:
"Es hätte einen Königsweg für die Richter gegeben, um all dem Rechnung zu tragen: Religiöse Botschaften – und seien sie noch so subtil – haben in Klassenzimmern nichts zu suchen!"

und
- "Kopftuchurteil: Islamophilie als politische Doktrin" von Professor Adorján F. Kovács - http://www.freiewelt.net/kopftuchurteil-islamophilie-als-politische-doktrin-10056318/.
Auszug: ".....
nun ist in diesem Land, in dem politisch vehement eine Frauenquote gefordert, ein Schulunterricht der „sexuellen Vielfalt“ propagiert und die Gendertheorie im öffentlichen Raum breit durchgesetzt werden soll, ein Urteil des Verfassungsgerichts zum islamischen Kopftuch gefällt worden. Ein politisches Fanal, das die Trägerin, potentiell alle muslimischen Frauen, zu wandelnden Litfaßsäulen des Islam macht, eine Art freiwillig getragener gelber Stern umgekehrten Vorzeichens, der die Trägerin hochmütig aus der geringgeschätzten Mehrheitsgesellschaft ausgrenzt, ein Symbol von Männer- und Frauenverachtung wird vom höchsten deutschen Gericht gebilligt."Diesen klugen Worten IST NICHTS HINZUZUFÜGEN!

In Erinnerung an frühere Urteile zum Wohle der GEZ-Gebühren-Gier-Ganoven (wo der Begriff der medialen GRUNDversorgung kurzerhand zu einer RUNDversorgung umfunktioniert wird), oder gar der skandalösen und volksverachtenden Rechtsprechung um Zusammenhang mit dem €-Gulag der Europäischen Währungsunion und der Ausplünderung der deutschen Steuerzahler zur sogenannten "Euro-Rettung" kann ich nur konstatieren, dass sich der Vosskuhle-Verein auch in diesem Falle erneut als Verfassungsverhüter "bewährt" hat. 

Längerfristig wird Deutschland nicht drum herumkommen, das Verhältnis von demokratisch legitimierter Volksmacht und elitärer selbstreferentieller Juristenmacht auf den Prüfstand zu stellen.


Und innerparteilich wird unsere AfD nicht um eine Klärung herumkommen, was wir eigentlich wollen: Eine religös durchtränkte Gesellschaft, oder eine säkulare, wie sie uns als hart erkämpftes Erbe unserer Ahnen* in den Schoß gefallen ist. Von dem wir sie doch nicht wieder achtlos auf die Erde fallen lassen wollen?
*[Hätte natürlich auch "Vorfahren" sagen können; aus Courteoisie gegenüber ggf. kiebietzenden Antifanten flechte ich indes hie und da gerne mal etwas altmodischere Ausdrücke ein ;-) ]


Nachtrag:
Die Stellungnahmen von Alexander Gauland und Frauke Petry sind KEINE offiziellen Stellungnahmen der AfD.

Prof. Bernd Lucke lehnt in einer jetzt auf Facebook veröffentlichten Stellungnahme das Urteil ab:
"+++ Zum "Kopftuchurteil" +++

Bei allem Respekt vor dem höchsten deutschen Gericht sollte man nicht vergessen, dass das Kopftuch auch ein Instrument der Unfreiheit von muslimischen Frauen ist. In staatlichen Schulen werden viele junge Mädchen unterrichtet, deren Eltern ihnen ein Kopftuch aufzwingen. Aber dies sind Schulen eines freiheitlichen Staates und deshalb müssen diese Mädchen erleben, dass muslimische Frauen auch selbstbewusst ohne Kopftuch leben und arbeiten können. Lehrerinnen sind wichtige Vorbilder und wir sollten darauf Wert legen, dass in staatlichen Schulen das richtige Vorbild gegeben wird. Erziehung ist nie wertfrei und hier ist sind die richtigen Werte die der Freiheit und der Gleichberechtigung."
Bei Frauke Petry steht ihre Stellungnahme nicht mehr in ihrer Chronik (nur noch, wohl aus Gründen der Ehrlichkeit, in den Fotos). Ein Facebook-Freund berichtet in einem Kommentar, dass sie die Sache inzwischen wohl anders sieht.
Ich vermute und hoffe, dass der Bundesvorstand der AfD noch ein klärendes Wort dazu sagen wird.



Nachtrag 20.03.2015
Jetzt bekommt sogar die Evangelische Kirche kalte Füße beim Kopftuch-Urteil meldet heute die WELT: "Stellt Karlsruhe das Kopftuch besser als das Kreuz?". Mit juristisch ziemlich gewichtigen Gründen:Dass die Kirchen ..... nicht wirklich glücklich mit dem Urteil sind, ließ .....[der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich] Bedford-Strohm erkennen, indem er eine "sehr sorgfältige Prüfung" ankündigte. Die Kirche müsse dabei auch fragen, ob das Kopftuch für die Unterdrückung der Frau stehe.
Dezidiert bejaht wird diese Frage von Michael Bertrams, der früher Präsident des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichts war und heute der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Westfalen angehört. Bertrams sagte dem "Kölner Stadt-Anzeiger", das Kopftuch sei "ein Kampfinstrument zur Durchsetzung eines Menschenbildes, das in Teilen nicht vereinbar ist mit dem Grundgesetz".
Dem Verfassungsjuristen Bertrams will nicht einleuchten, warum die Richter "die negative Religionsfreiheit der Schüler durch eine muslimische Lehrerin mit Kopftuch nicht beeinträchtigt sehen". Einen Widerspruch zum Kruzifix-Beschluss sieht hierin auch der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, Thomas Rachel (CDU).
Rachel, Bundesvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, findet es seltsam, dass heute beim Kopftuch die positive Religionsfreiheit der Lehrerin betont werde – sie darf ihren Glauben auch in der Schule bezeugen –, aber die negative Religionsfreiheit der Schüler nicht einmal dagegen abgewogen werde. Dabei habe Karlsruhe noch 1995 "den Schutz der negativen Religionsfreiheit im Hinblick auf das Entfernen des Kreuzes an der Wand der Bayerischen Volksschule in den Mittelpunkt gestellt".
Dass eine Abwägung der Grundrechte nun von Karlsruhe ersetzt wird durch eine Bewertung des "Schulfriedens", hält Heinig für unbefriedigend. Zum einen könne die "Schulfrieden"-Bedingung dazu führen, dass im einen Schulbezirk das Kopftuch verboten wird, im andern nicht. "Das wird unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung schwierig zu vermitteln sein", sagte Heinig.
Zum andern sei es "fraglich", dass man "auf diese Weise zu mehr Rechtsfrieden kommt als durch die bisherigen Kopftuchverbote der Bundesländer". Zwar könne bei diesem Thema "keine Lösung vollständig befriedigen". Aber gerade deshalb, so Heinig, habe 2003 beim ersten Karlsruher Kopftuchurteil der damalige Zweite Senat des Gerichts "letztlich klug" damit gehandelt, diese Frage "der demokratischen Verständigung in der Gesellschaft" zu überlassen, "also dem Gesetzgeber".



Nachtrag 22.03.2015
Kritisch ist auch der heutige Meinungsbeitrag "Das Kreuz mit dem muslimischen Kopftuch" von Andrea Seibel in der WELT:
"Das Kopftuch ist in den wenigsten Fällen ein modisches Accessoire, wie sich dies einige Großstädter zurechtlügen. Nein, es ist ein die Frau entrechtendes Kleidungsstück (für muslimische Männer gibt es keine entsprechenden religiösen Kleidervorschriften). Das Kopftuch ist und bleibt ein Symbol der Unfreiheit. Dies ist einer Gesellschaft, die doch so stolz auf ihr Grundgesetz ist, das die Gleichheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit in den Mittelpunkt stellt, nicht würdig. Mit dem Urteil ist der Islam und seine strenge Auslegung aufgewertet worden. Das bedeutet einen ernstzunehmenden Bruch mit dem christlich-abendländisch geprägten Geist öffentlicher Schulen, der immer schon die Offenheit für andere religiöse Kulturen beinhaltete."



Nachtrag 26.03.2015
Frauke Petry hat ihre Position erfreulicher Weise revidiert und erklärt heute  auf Facebook:
"Unsere Kultur zu bewahren, heißt unserer Kultur den Vorrang geben!!!
Aufgrund der vielen Hinweise aus Ihren Reihen habe ich mich nochmals mit dem Kopftuch-Urteil des BundesverfassungsgerichtsThema befasst. In der Begründung heißt es, es dürfe in unserem Land keine Bevorzugung der christlich-abendländischen Kultur geben.
 Diese Aussage ist für mich eine Bankrotterklärung unseres Selbstbestimmungsr...
echts, das wir anderen Nationen, Völkern und Kulturen gern zugestehen. Selbstverständlich ist unserer Kultur im eigenen Land und ihrer Bewahrung eine Vorrangstellung einzuräumen.
Deshalb revidiere ich meine Position in dieser Frage. Wenn diese Begründung für das Kopftuchurteil maßgeblich war, ist es wahrhaftig eine Schande und schadet jeglichen Integrationsbemühungen
!"


Nachtrag 26.03.2015
Nun gibt es auch eine (für mich überzeugende) Stellungnahme des AfD-Bundesvorstands in der Kopftuchfrage. Darüber berichtet heute die FAZ unter der Überschrift "Kopftuch-Streit AfD legt sich fest: 'Ein Instrument der Unfreiheit' ":
"Die Spitze der Alternative für Deutschland hat sich nach internen Meinungsverschiedenheiten zu einer neuen Position in der Kopftuch-Frage durchgerungen. Der AfD-Bundesvorstand stellte am Donnerstag in einer gemeinsamen Erklärung fest: 'Bei allem Respekt vor dem höchsten deutschen Gericht darf man nicht vergessen, dass das Kopftuch auch ein Instrument der Unfreiheit von muslimischen Frauen ist'."




ceterum censeo
Zerschlagt den €-Gulag
und den offensichtlich rechtswidrigen Schlundfunk der GEZ-Gebühren-Gier-Ganoven! 
Textstand vom 26.03.2015

2 Kommentare:

  1. "Das Problem mit diesem Ding ist jedoch, dass es ganz allgemein ein Symbol der Nicht-Gleichwertigkeit von Mann und Frau, und der Unterwerfung der Frau unter den Mann ist"
    "Ganz allgemein". Also eine bulgarische Markt-Oma bekundet durch das Tragens eines Lappens um den Kopf "Nicht-Gleichwertigkeit" und "Unterwerfung". Wissenschaftlicher Nachweis?

    "Es könnte eines Tages durchaus zu einer Allianz von christlichen und muslimischen Fundis gegen die säkulare Gesellschaft kommen"
    Also so ein Quatsch. Was noch? Othodoxe Juden und Salafisten in einem Boot? Ich wüsste auch gar nicht dass es in Deutschland vor christlichen Fundis wimmelt, aber für Sie Hysteriker reicht dazu wohl schon ein Kruzifix im Klassenzimmer. Und noch etwas: Deutschland ist keine säkulare Gesellschaft. Das steht schon in der Präambel des Grundgesetzes und ergibt sich insbesondere aus dem Staatskirchenrecht. Erst recht ist es eine Beleidigung meiner Intelligenz, die "säkulare Gesellschaft" als hart erkämpftes Erbe irgendwelcher Ahnen darzustellen. Die einzigen säkularen Gesellschaften in Deutschland waren das Dritte Reich und die DDR. Ich bin Atheist, aber in Ihrem Beitrag erblicke ich nur schrillen antireligiösen Hass nach der Manier Stalins, und der lässt mich erschauern. Kippas wollen Sie wohl auch nicht in Schulen? Kommen Sie, verstecken Sie sich nicht hinter wohlfeiler Islamkritik. Etwas Salon-Antisemitismus würde Ihr dünkelhaftes, aggressives Überheblichkeitsdenken doch abrunden.

    "Längerfristig wird Deutschland nicht drum herumkommen, das Verhältnis von demokratisch legitimierter Volksmacht und elitärer selbstreferentieller Juristenmacht auf den Prüfstand zu stellen."
    Als Jurist empfinde ich das als Unverschämtheit. Das Bundesverfassungsgericht, dessen Urteil ich nicht begrüße, wird von einem Richterwahlausschuss gewählt und wendet nur das Grundgesetz an. Ihre Auslassung ist verfassungsfeindlich und passt eher zu Juncker und Schulz. Schämen Sie sich. Sie sollten aus der AfD geschmissen werden.

    Ich bin einer völlig anderen Auffassung als Herr Gauland und Frau Petry und plädiere für eine Grundgesetzänderung. Sie jedoch schießen mit Ihrem schrillen Angriff auf die eigene Partei nicht nur über das Ziel hinaus, sondern bemühen dazu auch noch Märchen. Oberpeinlich, schrill und nicht hilfreich.

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    1. Das lasse ich mal unkommentiert, Ohne Wenn und Aber.
      Ich gehe davon aus, dass meine anderen Leser hinreichend Intelligenz und Leseverständnis haben, um Ihren Kommentar zutreffend einzuordnen.

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