Montag, 6. Juni 2022

Wenn Bonsai-Bismarcks Politik simulieren: Zum Antrag TO-2 (Resolution „Europa neu denken“) für den Riesaer Bundesparteitag der AfD

 
Die o. a. Resolution „Europa neu denken“ will die angesichts des Dresdner "Dexit"-Beschlusses unklare Europapolitik der Alternative für Deutschland präzisieren; das ist grundsätzlich gut und richtig. 
Ihre Zielsetzung formulieren die Antragsteller so:
"Als zentrale gemeinsame Interessen betrachten wir (1) einen gemeinsamen Markt, (2) die Erlangung strategischer Autonomie, (3) den wirksamen Schutz der Außengrenzen und (4) die Bewahrung der europäischen Kultur und Identität. Zwischen diesen Grundpfeilern soll es (5) ein flexibles Europa funktionaler Verträge geben, die unabhängig voneinander, bi- oder multilateral, zwischen Mitgliedsstaaten abgeschlossen werden können."
Verdichtet wird das in der Formulierung, Europa solle Einheit und Stärke nach außen und subsidiäre Vielfalt nach innen.
 
Nach innen (das darf man wohl als die Hauptzielsetzung bewerten) geht es darum, die Entwicklung der EU zu einem Superstaat zurückzudrehen.
Diese Zielsetzung teilen sicherlich alle AfDler. Aber wenn man einen gemeinsamen Markt haben will (was mehr oder weniger wohl ebenfalls für alle AfDler gilt), dann muss man sich darüber in Klaren sein, dass es nicht einfach mit einer Abschaffung der Zölle getan ist. In der Vergangenheit waren Regierungen (meist wohl unter dem Druck der einschlägigen Lobby) recht erfinderisch darin, Zölle durch sog. "nichttarifäre Handelshemmnisse" zu ersetzen. Also, konkret auf Deutschland bezogen, beispielsweise Biersorten, die nicht nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut sind, den Marktzugang zu verweigern. Natürlich musste eine angebliche Schutzbedürftigkeit der Verbraucher als Vorwand herhalten, obwohl bislang ist in Ländern, wo "künstliche" Zusätze zulässig sind, noch niemand daran gestorben ist. Indes fühlt sich das Sklavenvolk der Germanen offenbar nur dann wohl, wenn es von seinen Machthabern fürsorglich durch möglichst viele Gebote in seiner Freiheit eingeschränkt wird. 
Und weil die Resolution fordert "Es gilt das Ziellandprinzip (Waren und  Dienstleistungen müssen den gesetzlichen Anforderungen im Zielland genügen)", ist insoweit ein munteres Hauen und Stechen zwischen den Staaten zu erwarten.

Weiterhin besteht die Gefahr, dass in einer Freihandelszone ohne gewisse einheitliche Mindeststandards für Sozial- und Steuerpolitik - und vielleicht auch bei den Löhnen - ein Wettlauf bei der Sozialpolitik und den Steuern nach unten einsetzt. Das klingt gut, führt aber tendenziell zu einem "Ausbluten" der Staaten und dem Verlust von sozialen Sicherheiten insbesondere für die abhängig beschäftigten Arbeitnehmer.
 
Und auch, wenn "flexibel" natürlich toll klingt: "Ein ..... Europa funktionaler Verträge geben, die unabhängig voneinander, bi- oder multilateral, zwischen Mitgliedsstaaten abgeschlossen werden", führt für die Bürger und die Unternehmen zu einem total unübersichtlichen Regelwirrwar. Das Brüsseler Bürokratiemonster, welches man gerade enthauptet zu haben glaubte, würde auf andere Weise fröhlich seine Auferstehung feiern.
 

Völlig unrealistisch ist jedoch die Erwartung, mit einem solchen Staaten-Sauhaufen eine "strategische Autonomie" erlangen zu können. Hier war ersichtlich die infantile Vorstellung wirksam, man könne den Kuchen gleichzeitig aufessen und aufbewahren. 
Im Detail stellen sich die Antragsteller die Sache so vor:
"Die Mitgliedsstaaten gründen eine Europäische Verteidungsgemeinschaft EVG als Bündnis ihrer nationalen Armeen. Die Einrichtung von gemeinsamen Streitkräften („Europäische Armee“) ist ausgeschlossen. Das Militärbündnis verfügt (a) über Mechanismen der politischen Bewertung und Entscheidung, (b) einen Stab zur Planung und Durchführung militärischer Operationen und (c) einen Koordinationsstab zur Entwicklung und Beschaffung der erforderlichen Rüstungsgüter. Die EVG wird Mitglied einer reformierten NATO (Depolitisierung und Beschränkung auf die militärische Verteidigung des Bündnisgebiets, Straffung der Entscheidungsverfahren, Revision der Partnerschaftslisten und der Agenda 2030*, keine Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens)."
* Die 4-seitige, englischsprachige Agenda ist über diesen Link erreichbar.

Wer ein militärisch starkes Europa will, der muss konsequenter Weise einen europäischen Staat fordern. Genau DEN wollen die Antragsteller jedoch nicht. Ich will den ebensowenig; doch bilde ich mir im Unterschied zu diesen weltfremden Weltpolitikern nicht ein, dass man mit einem Bündnis, bei dem jeder Partner auf seine volle Souveränität bedacht ist (also insbesondere auch auf außenpolitische Souveränität!) eine starke militärische Macht mit glaubhaftem Abschreckungspotential entwickeln kann. Wer finanziert z. B. die Atomwaffen, die Flugzeugträger, das Material für den Cyber-War und den Space-War? Wer keine gemeinsame Armee will, kann logischer Weise auch keinen gemeinsamen Finanztopf wollen. Und im Koordinationsstab für die Rüstungsgüter würde es ständig Streit darüber geben, wer wieviel bezahlt und bestellt und welches Land welches Produkt bauen darf. 
"Mechanismen der politischen Bewertung und Entscheidung" ist wiederum eine volltönende, in der Sache aber komplett hohle Regelung. Wie sollen sich -zig Staaten mit sehr unterschiedlichen Interessen einigen? Wenn jeder Staat ein Vetorecht hat (alles andere wäre ja wieder ein enormer Souveränitätsverlust)?
 
Hier waren nach meiner Einschätzung Geister am Werke, denen die amerikanische Übermacht stinkt. Wer freilich glaubt, mit einer solchen Konstruktion gegen die USA anstinken zu können, der ist wahrhaftig nicht die hellste Kerze auf der Torte.

Überhaupt zeigen unsere programmatischen Superhelden, dass sie realpolitische Hosenscheißer sind:
"Der Ukraine-Konflikt hat auch vor Augen geführt, dass die Sicherheitsinteressen Europas und der USA nicht deckungsgleich sind. EUROPA wäre der primäre Schauplatz einer nuklearen Eskalation."
Das heißt nichts anderes, als dass unsere strategischen Autonomiestreber vor Angst schlottern, wenn der Onkel Putin nur mal "Atom, Atom" sagt. 
Was soll das überhaupt für ein Europa sein, das "die Ukraine ... [zum] blockfreien und neutralen Brückenstaat dazwischen" (also zwischen "Europa" und Russland) erklärt und sie somit draußen in Regen, Kälte und Gefahr stehen lässt? Von strategischer Autonomie faseln, aber vor Russland einknicken? Ist das nur realpolitische Blindheit, ist das totale Dummheit - oder steckt etwa gar eine heimliche Verehrung des großen Führers Putin dahinter?
Und welches "unserer mittel- und osteuropäischen Partnerländer" soll uns denn glauben, dass wir WIRKLICH dafür sorgen würden, dass "der notwendige Ausgleich mit Russland nicht ..... [deren] berechtigte Sicherheitsbedürfnis beeinträchtigt"? Verteidigen die VERRÄTER AN DEN UKRAINISCHEN PATRIOTEN UND DER UKRAINISCHEN SOUVERÄNITÄT - Bündnis hin oder her - DIESE Länder, wenn Onkel Putin dann wieder mit der Atomkeule droht? 
Zumal der pro-Nato-Passus vermutlich auf Drängen von Alexander Gauland in den Text aufgenommen wurde; Gestalten wie Höcke würden auf den amerikanischen Schutz für Deutschland liebend gerne verzichten.
Wobei der Herr Höcke ja ohnehin "Frieden schaffen ohne Waffen" will: Wieso stellt ein derartiger Pazifist - und damit per se Vaterlandsverächter - überhaupt einen Antrag, eine europäische Verteidigungs-Gemeinschaft zu schaffen?

Höckes WAHRE Meinung zu dieser Frage ist von der ihm auch sonst eigenen deutsch-nationalistischen Großmanssucht geprägt; am Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine auf Facebook verkündete er (meine Hervorhebung): "die Ukraine ist wie die vielen anderen ostmitteleuropäischen Staaten weder das eine noch das andere, sie ist ein Zwischenland. Ostmitteleuropa ist weder Ost noch West." Gemeint ist natürlich, dass es sich um "Zwischenländer" zwischen Deutschland und Russland handelt, die dann über die Köpfe dieser Zwischenwesen hin - und zu deren Lasten - einen Interessenausgleich betreiben dürfen.

In jedem Falle entlarven sich unsere Europa-Verteidigungs-Helden mit ihrem Verrat an der Ukraine als das, was sie in Wahrheit sind: Als INTELLEKTUELLE UND MORALISCHE ZWERGE!
 
 
Es gibt ZWEI Antragslisten:
Und in eben diesem SPIEGEL-Bericht "Was Björn Höcke auf dem AfD-Parteitag vorhat" vom 06.06.2022 erfahren wir:
"Auch inhaltlich will Höcke die AfD weiter nach seinem Gusto formen. Auf dem Parteitag bringt er eine Resolution zu Europa ein .....".
 
Weiter erfahren wir dort:
"Eine weitere Resolution [TO-3], die er [also Höcke] unterstützt, dreht sich um Russland. Der Parteitag soll sich unter anderem gegen Waffenlieferungen und einen Beitritt der Ukraine in die Nato aussprechen und die Blockade von Nord Stream 2 aufheben, wie alle Sanktionen. Auch russische Staatsmedien wie RT sollen nicht weiter gesperrt werden."
 
Der Bonsai-Bismarck aus Bornhagen ist also (unter anderem; für die Resolution TO-2 nennt der SPIEGEL auch Alexander Gauland als einen der Mit-Antragsteller) derjenige, der die ukrainischen Patrioten eiskalt verraten will. Der sich aber gleichzeitig ein europäisches Bündnis zusammenphantasiert mit der unbedarften Vorstellung, "Europa" (d. h. diejenigen Staaten, die seiner Meinung nach zu Europa gehören dürfen) dadurch "strategisch autonom" machen zu können.
Heilige Einfalt .....


ceterum censeo:

Ein Rechtsextremist aus Bornhagen
Tut nicht wagen, den VS zu verklagen.
Für die Partei ist das Mist,
Doch es ist, wie es ist:
Wir lassen vom Haldi uns plagen .....
Textstand 17.06.2022

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